Falling Walls Science Summit: Entwicklungssprünge durch gender-sensible Forschung
12. November 2024
Können Sie sich noch erinnern als vor einem Jahr ein ORF-Moderator die Erklärung von Schifahrerin Mikaela Shiffrin "I am kind of in an unfortunate time of my monthly cycle" so übersetzte: "Ich komme nicht einmal zum Radfahren, was ich jeden Monat mache. Ich bin einfach zu müde."? Was wohl viele von uns damals zum Schmunzeln gebracht haben dürfte, hat gleichzeitig auch eine Welle des Interesses und geteilter Erfahrungen von Sportlerinnen und deren Leistung im Verlaufe des Menstruationszyklus ausgelöst.
Es gibt sie also wirklich nach wie vor, die Überraschungen über biologische Geschlechtereinflüsse (im englischen „sex“), die vor allem in der medizinischen Forschung, aber eben auch im Sport höchst relevant sind.
Gleichzeitig gibt es auch Geschlechtereinflüsse, die vielleicht biologisch wirken mögen, wenn z.B. Männer überwiegend Hautkrebs am Rücken oder an der Kopfhaut bekommen. Werden zu den Daten über das Geschlecht aber weitere Variablen hinzugezogen, kann erkannt werden, dass diese Krebsform vorwiegend bei Männern in solchen Ländern vorkommt, in denen die Sonne stark scheint und Männer sich mit freiem Oberkörper im Freien aufhalten. Das hat nichts mit Biologie, sondern damit zu tun, dass es in diesen Ländern sozial anerkannt ist, sich als Mann – nicht aber als Frau – mit nacktem Oberkörper in der Öffentlichkeit zu zeigen. Diese sozialen Dimensionen von Geschlecht (im engl. „gender“) – und damit zusammenhängende Vorstellungen wie Personen eines bestimmten Geschlechts – sich verhalten sollen, müssen daher in Forschung und Technologieentwicklung von biologischen Unterschieden differenziert behandelt und berücksichtigt werden.
Aus diesem Grund haben in den letzten zwei Jahrzehnten mehrere Forschungseinrichtungen damit begonnen, Genderperspektiven in ihre Forschungsförderungsprogramme aufzunehmen. Zu Beginn ging es vor allem darum, „die Zahlen zu korrigieren“ oder „fixing the numbers“, wie Londa Schiebinger es nennt, d. h. ausgewogene Teams zu bilden und mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Um diese Zahlen zu erreichen, ist es von entscheidender Bedeutung, die Organisationen so zu verändern, dass nicht nur mehr Frauen eingestellt werden, sondern dass auch Vorurteile in der Karriereentwicklung beseitigt und inklusive Arbeitskulturen geschaffen werden, also „fixing the institutions“. Der dritte Aspekt ist die „Korrektur des Wissens“ („fixing the knowledge“), d. h. die Berücksichtigung von biologischem Geschlecht und Gender in der Forschung, wann immer dies einen potenziellen Einfluss hat.
Seit 2011 sammelt die in Stanford ansässige Website „Gendered Innovations“ verschiedene Beispiele und Instrumente, um die „Integration der Geschlechterdimension in Medizin, Wissenschaft und Technologieforschung“ zu zeigen. Und wie wird die Geschlechterdimension in Forschungs- und Innovationsprojekten tatsächlich berücksichtigt?
Vom 6. bis 8. November organisierte Anita Thaler zusammen mit ihrem Kollegen Clemens Striebing vom Fraunhofer IAO einen Impact-Workshop für die VOICES-Arbeitsgruppe zum Thema „Gender als Forschungsdimension“ in Berlin. Zwei Höhepunkte dieses Treffens waren ein Besuch des Lehrstuhls Geschlechterforschung in der Medizin von Gertraud Stadler und ihrem Team an der Charité - Universitätsmedizin Berlin und die Teilnahme der VOICES-Delegation am Falling Walls Science Summit.
Anita Thaler leitete und moderierte eine Podiumsdiskussion auf dem Falling Walls Science Summit zum Thema „Unleashing Breakthroughs through Gender-Sensitive Research“, bei der fünf empirische Impact Stories aus dem VOICES-Netzwerk vorgestellt wurden:
Gul M. Kurtoglu Eskisar (Dokuz Eylul Universität und Columbia Universität), Jelena Grahovac (Institut für Onkologie und Radiologie von Serbien), Katerina Pastra (Institut für Sprache und Sprachverarbeitung, „Athena“ Forschungszentrum), Margarita Zachariou (Abteilung für Bioinformatik, The Cyprus Institute of Neurology and Genetics) und Edna Costa (School of Economics, Management and Political Science, University of Minho, Portugal) gaben fundierte und praxisnahe Antworten auf Fragen nach den Ursachen für geschlechtsspezifische Unterschiede in der Forschung und wie diese behoben werden können.